Wenn Komplexität auf menschliches Denken trifft

Es ist Montag früh, ich sitze mit meinem Kaffee am Esstisch und checke die anstehenden Termine für die nächsten Tage. Einen Corona-Impftermin hätte ich gerne. Der steht mit Prioritätsgruppe 4 aber auch diese Woche leider nicht in meinem Kalender.

Immerhin ist heute in ganz Deutschland die Impfpriorisierung für COVID-19 Impfungen aufgehoben. Ab sofort dürfen Haus- und Betriebsärzte auch impfen. Jetzt wird also alles schneller und einfacher. Endlich!

Klare Ziele. Oder doch nicht?

Seit Beginn der Pandemie ist unsere Regierung bemüht, die Corona-Pandemie und ihre Folgen in den Griff zu bekommen. Im April 2020 hatte sie dazu folgende Ziele formuliert:

  • die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen,
  • Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Beschäftigte und Unternehmen abzufedern und
  • die Pandemie gemeinsam mit den europäischen und internationalen Partnern zu bewältigen.

Was auf den ersten Blick klar und logisch formuliert klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eines der typischen Probleme unseres menschlichen Umgangs mit komplexen Situationen.

Komplexität mit Linearität „beherrschen“

In komplexen, vernetzten, intransparenten und dynamischen Situationen – wie die Corona-Pandemie sicherlich eine ist – ist typischerweise alles mit allem oder zumindest vieles mit vielem verknüpft. Einfache, lineare Kausalketten nach dem Prinzip „wenn A dann B“ suchen wir meist vergeblich.

Dennoch lässt sich tagtäglich beobachten, wie wir beim Lösen von komplexen Problemen immer wieder anhand einfacher kausaler Verkettungen entscheiden und handeln. Wenn wir die Kontakte der Menschen untereinander beschränken, dann schützen wir damit die Gesundheit der Bevölkerung, weil sich das Risiko einer Corona-Infektion verringert. So weit, so richtig.

Ein Jahr nach Formulierung dieses Ziels wissen wir aber auch, dass die Fälle häuslicher Gewalt während der Zeit der Kontaktbeschränkungen zugenommen haben. Ebenso wissen wir, dass die Zahl psychischer Erkrankungen und Stressbelastungen gestiegen ist und viele Menschen ärztliche Untersuchungen und Behandlungen in dieser Zeit aus Angst vor Infektionen nicht wahrgenommen haben. Ist die Gesundheit dieser Menschen durch die verhängten Maßnahmen insgesamt nun mehr oder weniger geschützt?

Die ungewollten „Nebenwirkungen“ zeigen, dass sich das Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung in der formulierten Absolutheit gar nicht realisieren lässt. Zumindest nicht (ausschließlich) mit den erfolgten Maßnahmen, da einige der Folgen im Widerspruch zu dem formulierten Ziel stehen.

Indem wir Probleme lösen schaffen wir Probleme

Indem wir die Zusammenhänge innerhalb komplexer Systeme falsch einschätzen bzw. nicht ausreichend berücksichtigen und allgemeine Ziele formulieren, die häufig eine Vielzahl von (sich zum Teil widersprechenden) Unterzielen beinhalten, schaffen wir auf dem Weg zur Lösung komplexer Probleme und darüber hinaus regelmäßig eine ganze Reihe von neuen Problemen.

Aber diesen können wir uns dann ja in bewährter Manier im nächsten Schritt widmen, um dabei wiederum neue Probleme hervorzubringen, um die wir uns dann kümmern können, woraus dann wieder neue Probleme …

Corona ist da übrigens nicht das einzige Beispiel. Die Förderung der E-Mobilität mit der Frage, was später mit all den Batterien passiert, wäre eine andere. Aber auch die Agilisierung ganzer Unternehmenskulturen oder die Einführung neuer, unternehmensweiter Softwaresysteme haben häufig einen derart hohen Grad an Komplexität, dass schon kleine Einzelentscheidungen zu massiven Umwälzungen und Auswirkungen im gesamten Systemgefüge führen können. Gut wer da die Zusammenhänge kennt und eine Vorstellung hat, was auf einen zukommt und wo die wirksamsten Hebel sind.

Für meine Impfung heißt das, weiter zu warten. In Bayern hatten wir das Privileg, dass die Impfpriorisierung bereits vor ein paar Wochen ausgesetzt wurde. Seither wurden die Arztpraxen quasi überrannt von Impfwilligen.

Deshalb muss man bei einigen Praxen nun telefonisch seinen Impfwunsch registrieren lassen. Bei anderen erfolgt die Registrierung online über ein Terminvergabesystem. Bei wieder anderen per E-Mail einmalig oder regelmäßig. Vielen Praxen haben ihre Wartelisten geschlossen. Einige haben die Wartelisten auch wieder abgeschafft, weil sich zu viele Menschen auf mehreren Listen registriert und nach einer Impfung nicht wieder streichen haben lassen. Kurz, es herrscht organisatorisches Chaos. Mir scheint, dass auch hier beim Lösen eines Problems gleich wieder ein paar neue geschaffen wurden.

Komplexität managen und Entscheidungsprozesse gestalten

Wenn Sie jetzt Interesse haben zu erfahren, wie Sie Entscheidungsprozesse besser gestalten und komplexe Situationen besser managen können, dann werfen Sie doch mal einen Blick auf unser Seminar Vernetztes Denken und agiles Handeln in der Praxis. Dort beschäftigen wir uns mit genau diesen Herausforderungen und Sie haben die Möglichkeit, für die komplexen Herausforderungen in Ihrem Arbeitsumfeld eigene Lösungen zu entwickeln.

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